Friedensnobelpreis 1905: Bertha Sophie Felicita von Suttner

Friedensnobelpreis 1905: Bertha Sophie Felicita von Suttner
Friedensnobelpreis 1905: Bertha Sophie Felicita von Suttner
 
Die österreichische Adlige erhielt für ihren kompromisslosen Pazifismus als erste Frau den Friedensnobelpreis
 
 
Bertha Sophie Felicita Freifrau von Suttner, * Prag 9. 6. 1843, ✝ Wien 21. 6. 1914; geborene Gräfin Kinsky von Chinic und Tettau, 1876 Heirat mit Arthur Gundaccar Freiherr von Suttner, 1876-85 Aufenthalt im Kaukasus, 1889 Roman »Die Waffen nieder!«, 1891 Gründung der Österreichischen Friedensgesellschaft, 1892-99 Herausgeberin der Zeitschrift »Die Waffen nieder!«.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Von einem Balkon unter den Linden sah ich den Einzug der aus Frankreich heimkehrenden Truppen. Ich habe das Bild im Gedächtnis voll Sonnenschein, Jubel, flatternden Fahnen, gestreuten Blumen, Triumphbogen — ein hohes historisches Freudenfest.« Noch 1870, am Ende des Deutsch-Französischen Kriegs, haben die gewaltsamen Konflikte, die Europa erschüttern, für Bertha von Suttner nichts Verabscheuungswürdiges, sondern sind eher ein Abenteuer und interessantes Spektakel. Als Kind aus dem böhmischen Militäradel ist sie das Produkt einer aristokratischen Erziehung, deren militaristische Grundeinstellung sie vorbehaltlos akzeptiert hat. Doch wenige Jahre später ist Bertha von Suttner die prominenteste Pazifistin Europas geworden, die ihr Leben in den Dienst der Friedensbewegung gestellt hat und eindringlich vor den Auswirkungen von Rüstung und Krieg warnt: »Jedes Dorf eine Brandstätte, jede Stadt ein Trümmerhaufen, jedes Feld ein Leichenfeld, und noch immer tobt der Kampf: unter den Meereswellen schießen Torpedoboote, um mächtige Dampfer in den Grund zu ziehen; in die Wolken steigen bewaffnete und bemannte Luftschiffe. .. und aus tausend Meter Höhe schneien verstümmelte Krieger als blutende Flocken herab.« (aus »Das Maschinenzeitalter«, 1888)
 
 Jugendträume vom sozialen Aufstieg
 
Noch bevor Bertha 1843 als Gräfin Kinsky das Licht der Welt erblickt, stirbt ihr 76-jähriger Vater. Obwohl er dem böhmischen Hochadel entstammt, versagt die Aristokratie seiner bürgerlichen Frau und seiner Tochter die gesellschaftliche Anerkennung. So zielen die Ambitionen der beiden darauf, durch Berthas Einheirat in ein altehrwürdiges Adelsgeschlecht die gesellschaftliche Stufenleiter emporzuklimmen. Doch alle derartigen Versuche scheitern. Als Bertha 30 Jahre alt wird, sind ihre finanziellen Mittel erschöpft, und Bertha, die in den Augen ihrer Zeitgenossen bereits als »alte Jungfer« gilt, sucht sich eine Arbeit. Im Haushalt des Freiherrn von Suttner findet sie eine Anstellung als Gesellschafterin der vier Töchter.
 
Während ihrer drei Jahre als Gouvernante entspinnt sich eine Liaison zwischen Bertha und Arthur, einem Sohn der Familie, der sieben Jahre jünger ist als sie. Als die unstandesgemäße Beziehung bekannt wird, legt man Bertha nahe, das Haus zu verlassen. Schweren Herzens trennt Bertha sich von Arthur und nimmt eine Stellung als Privatsekretärin bei einem reichen Industriellen in Paris an: Alfred Nobel. Doch schon zwei Wochen später kehrt sie nach Wien zurück. Bertha und Arthur heiraten heimlich und fliehen in den Kaukasus, wo sie die nächsten neun Jahre in bescheidenen Verhältnissen leben werden.
 
 Der lange Weg zum Friedensengel
 
Zuerst findet das Ehepaar Suttner ein Auskommen als Privatlehrer, mit der Zeit jedoch wird die Schriftstellerei immer mehr zur Haupteinnahmequelle. Als 1877 im Kaukasus der Russisch-Türkische Krieg ausbricht, schickt Arthur Korrespondentenberichte nach Europa. Bertha macht die Träume ihrer Jugend zum Stoff von erfolgreichen Romanen und Zeitschriftenartikeln, in denen sie von der Liebe zwischen Adligen und Angehörigen niederer Stände erzählt. Daneben beschäftigen sich die Suttners auch mit politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fragen ihrer Zeit und entwickeln allmählich eine Weltanschauung, die geprägt ist von Toleranz und dem Wunsch nach Demokratie und Völkerverständigung.
 
1885 kehren die Suttners nach Österreich zurück. Im Jahr darauf trifft Bertha in Paris Alfred Nobel wieder, es entwickelt sich eine langjährige Freundschaft, in deren Verlauf sie den Industriellen zur Stiftung eines Friedenspreises anregt.
 
In ihrem literarischen Werk wendet sich Bertha von Suttner nun immer stärker sozialen und politischen Problemen zu. 1888 erscheint ihre Schrift »Das Maschinenzeitalter«, eines der ersten Bücher, das die Folgen von Rüstung und übertriebenem Nationalismus vorhersagt. Im Jahr darauf kann sie ihren Antikriegsroman »Die Waffen nieder!« veröffentlichen. Mit der Geschichte ihrer Heldin, Baronin Martha von Tilling, die im Kriegshorror des 19. Jahrhunderts zwei Ehemänner und ihren Sohn verliert, will Bertha von Suttner der sich organisierenden Friedensbewegung einen Dienst erweisen — und in der Tat ist ihre Anklage gegen den um sich greifenden Militarismus so stark, ihre Darstellung des Kriegsgemetzels, der Massengräber und Lazarette so real, dass es eine enorme Wirkung auf das Lesepublikum hat. »Die Waffen nieder!« wird ein internationaler Bestseller.
 
Mit dem Erfolg ihres Friedensromans geht Bertha von Suttners literarischer Pazifismus in einen politisch-aktiven über: Sie wird Mitglied der Friedensbewegung. 1891 gründet sie die österreichische Friedensgesellschaft, in den folgenden Jahren nimmt sie an zahlreichen Friedenskonferenzen teil (Bern 1892, Antwerpen 1894, Budapest 1896) und gründet Friedensgesellschaften in vielen anderen Ländern. Ab 1892 gibt sie mit dem Pazifisten Alfred Hermann Fried die Monatszeitschrift »Die Waffen nieder!« heraus und initiiert die 1899 stattfindende Haager Friedenskonferenz, bei der die Idee zu einem Schiedsgericht für internationale Konflikte formuliert wird.
 
 Die Kassandra ihrer Zeit
 
Als das 20. Jahrhundert anbricht, ist Bertha von Suttner die populärste Person in der Friedensbewegung Europas. Doch als 1901 der erste Friedensnobelpreis verliehen wird, heißen die Preisträger Henri Dunant und Frédéric Passy. 1905 wird ihr der Preis dann zugesprochen, doch so recht freuen kann sie sich nicht darüber. Zwar sichert das Preisgeld Bertha von Suttners Lebensunterhalt, doch ihr Mann und Mitstreiter ist 1902 mit 52 Jahren gestorben und ihre Friedensbemühungen sind immer weniger von Erfolg gekrönt. So stellt sie in ihrer Nobelpreisrede düster fest, dass das internationale Säbelrasseln inzwischen alle Friedensappelle übertönt: »Festungen werden gebaut, Unterseeboote fabriziert, ganze Strecken unterminiert, kriegstüchtige Luftschiffe probiert für das demnächstige Losschlagen«. Die anfängliche Popularität der Friedensidee ist in Europa einer wachsenden Kriegsbegeisterung gewichen.
 
Bertha von Suttners Warnungen verhallen ungehört, Europa wird sich und die Welt 1914 in ein nie dagewesenes Gemetzel und Blutvergießen stürzen. Doch die Pazifistin, die der Schriftsteller Stefan Zweig als »großartige und großmütige Kassandra unserer Zeit« bezeichnet hat, muss diese Katastrophe nicht mehr erleben, sie stirbt zwei Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
 
S. Straub

Universal-Lexikon. 2012.

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